Sprechstunde bei Dr. Jenke

Fehlende Schutzausrüstung ist ein riesiges Problem, allerdings nicht unser einziges

PraxisNews (PN) sprach mit Dr. Andreas Jenke über die aktuelle Lage zur Pandemie mit dem neuen Corona-Virus.

PN: Die Pandemie mit dem neuen Corona-Virus hält uns fest im Griff. Um halbwegs die Kontrolle zu behalten, waren drastische Maßnahmen notwendig. Wie gehen Sie in Ihrer Praxis mit der aktuellen Lage um?

Jenke: Wir haben unseren Ablauf weitestgehend umgestellt. Patienten mit Atemwegsinfekten betreuen wir zurzeit telefonisch oder im Hausbesuch. Das erhöht die Sicherheit für alle Patienten, die mit anderen Beschwerden weiterhin in unsere Praxis kommen. Zudem tragen unsere Mitarbeiter zum Schutz der Patienten einen Mund-Nasen-Schutz. Selbstverständlich achten wir auch auf die Einhaltung des empfohlenen Sicherheitsabstands.
Falls notwendig, passen wir unsere Maßnahmen zügig den aktuellen Empfehlungen an. Unser Ziel ist die bestmögliche Behandlung aller Patienten – auch in der aktuellen Situation.

PN: Das klingt alles relativ einfach?

Jenke: Dieser Eindruck täuscht. Laufende Prozesse zu ändern, ist immer mit einem enormen Aufwand verbunden. Und in der aktuellen Situation sind ständige Anpassungen notwendig. Das erfordert von allen Mitarbeitern ein hohes Maß an Flexibilität und Einsatzbereitschaft. Zum Teil arbeiten wir jetzt schon an der Belastungsgrenze. Dabei stehen uns die großen Herausforderungen noch bevor.
Mit Sorge erfüllt mich die schlechte Vorbereitung und Organisation der Ministerien und auch der Kassenärztlichen Vereinigung. Viele der bisherigen Belastungen wären vermeidbar gewesen.

PN: Der Bundesgesundheitsminister sah Deutschland aber gut vorbereitet und die Mehrheit der Bevölkerung beurteilt die Leistung seines Ministeriums in der aktuellen Krise ebenfalls positiv.

Jenke: Diese Aussage des Ministers Ende Januar war ein großer Fehler. Sie führte zu einer falschen Sicherheit. Dringend notwendige Vorbereitungen, wie beispielsweise die Beschaffung von ausreichend Schutzausrüstung, wurden so einfach verschlafen. Leider hat damals niemand die Aussage kritisch hinterfragt.
Als potentiell betroffener Hausarzt wollte ich dennoch mehr über die angeblich gute Vorbereitung erfahren. Mit Erschrecken musste ich dann feststellen, dass hinter der schönen Fassade aus Pandemieplänen kaum brauchbare Substanz steckt.

PN: Können Sie uns hierfür ein Beispiel geben?

Jenke: Zunächst einmal sollten die Pläne so gestaltet sein, dass sie im Pandemiefall auch schnell und realistisch umsetzbar sind. Verantwortlichkeiten müssen klar benannt werden. Schauen wir uns beispielsweise die Regelung zur ambulanten medizinischen Versorgung an. Deren Sicherstellung im Falle einer Pandemie wurde im Pandemieplan des Sächsischen Staatsministeriums für Soziales und Gesellschaft (SMS) der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) übertragen. Es ist vorgesehen, dass Haus- und Kinderärzte die Hauptlast der ambulanten Versorgung tragen sollen, und zwar zusätzlich zur regulären Betreuung der Patienten. Die dafür notwendige Schutzausrüstung ist laut Plan von jeder Praxis selbst zu beschaffen.
Abgesehen davon, dass dies für den einzelnen Arzt sowohl finanziell als auch logistisch kaum zu bewältigen ist, hatten viele Kollegen überhaupt keine Kenntnis von dieser bevorstehenden Herkules-Aufgabe. Wenn man zudem weiß, dass viele Praxen bereits während der jährlichen Influenzawelle über ihre Kapazitäten hinaus belastet werden, muss man den Plan an dieser Stelle einfach kritisch hinterfragen.

PN: Sie kritisieren die mangelnde Vorbereitung auf die Pandemie. Wie beurteilen Sie die bisherige Bewältigung der Krisensituation? Die Kassenärztliche Vereinigung hat gerade die Einrichtung von Praxen zur Testung auf das Corona-Virus angekündigt.

Jenke: Wenn man den Start verpatzt hat, ist es immer schwierig, verlorenen Boden wieder gut zu machen. In vielen Praxen fehlt die notwendige Schutzausrüstung. Das gefährdet nicht nur die Mitarbeiter, sondern auch die Patienten. Die von der KV angekündigten neuen Praxen zur Testung auf das Coronavirus ändern an dieser Situation nur wenig. Zumal hier offensichtlich nur der Rachenabstrich durchgeführt werden soll und die weitere Betreuung beim Hausarzt verbleibt. Die Durchführung des Abstrichs ist aber momentan gar nicht das Problem. So schöpfen wir die verfügbaren Kapazitäten in den Laboren bereits ohne die Testpraxen aus. Zusätzliche Einrichtungen für einen Abstrich bringen uns deshalb nicht weiter. Außerdem erhöht sich durch die doppelte Betreuung der Patienten die insgesamt benötigte Menge an Schutzausrüstung. In Zeiten des Mangels sollten wir effizienter mit unseren Ressourcen umgehen.
Zu alldem wurden noch Entscheidungen getroffen, welche die wirtschaftliche Lage der Praxen gefährden. So ist es zwar zu begrüßen, dass bekannte Patienten jetzt auch telefonisch betreut werden können. Wenn die Vergütung dafür aber so gering ausfällt, dass nicht einmal die Lohnkosten abgedeckt werden können, bringt das die Praxen zusätzlich in Bedrängnis. Wenn Arztpraxen in Zeiten einer Pandemie aus wirtschaftlichen Erwägungen darüber nachdenken müssen, Mitarbeiter in Kurzarbeit zu schicken, läuft organisatorisch etwas schief.

PN: Aus Ihren Worten entnehme ich, dass Sie einige Dinge anders machen würden. Was würden Sie der Kassenärztlichen Vereinigung empfehlen?

Jenke: Die KV ist momentan in keiner einfachen Situation. Zurzeit läuft man den Ereignissen zu häufig nur hinterher. Bis zur Umsetzung von beschlossenen Maßnahmen vergeht immer eine gewisse Zeit. Dies muss man mit einkalkulieren. Ich würde mich deshalb fragen, welche Probleme werden wir in vier Wochen haben und wie können wir diese lösen? In Vorbereitung auf eine außergewöhnlich hohe Zahl an Patienten würde ich immer versuchen, möglichst viele Strukturen im System in ihrer gewohnten Routine zu belassen. Gleichzeitig müssen zusätzliche Kapazitäten für den erhöhten Bedarf geschaffen werden. Zur Verdeutlichung kann ich Ihnen gern drei ganz konkrete Punkte nennen.
Man hat bereits viel Energie in die Einrichtung der Testpraxen investiert. Darauf kann man aufbauen. So könnten hier Infektambulanzen als primäre Anlaufstellen für alle Patienten mit Atemwegsinfekten entstehen. Mit der Beteiligung aller Mitglieder der KV, ließe sich die Belastung auf viele Schultern verteilen. Außerdem wäre die Versorgung mit der notwendigen Schutzausrüstung ebenfalls besser zu steuern.
Zur organisatorischen Unterstützung der Anlaufstellen sollte zudem eine zentrale Koordinierungsstelle zur stationären Einweisung geschaffen werden. Ein Szenario, in welchem die einzelnen Hausärzte verzweifelt versuchen, in überfüllten Krankenhäusern irgendwie ein Bett für einen Patienten zu organisieren, ließe sich so vermeiden.
Als dritten Punkt würde ich es allen Praxen ermöglichen, die Versichertenpauschale bei bekannten Patienten in der aktuellen Krisensituation auch ohne Einlesen der Chipkarte abzurechnen. Dies wäre eine sehr pragmatische Lösung. Die empfohlene Fernbehandlung der Patienten wäre damit nicht länger mit wirtschaftlichen Risiken für die Praxen verbunden.

PN: Sie haben mehrfach das Problem der fehlenden Schutzausrüstung angesprochen. Wie gehen Sie in Ihrer Praxis damit um?

Jenke: Die fehlende Schutzausrüstung ist derzeit die größte Herausforderung für uns. Mittlerweile verbringe ich mehr Zeit mit der Organisation von Nachschub als in der Patientenversorgung. Dennoch lassen sich kaum noch Erfolge erzielen. Wir müssen uns eingestehen, dass auf absehbare Zeit wohl kein Händler in der Lage sein wird, die Nachfrage zu bedienen.
Laut Bundesregierung wurden inzwischen Atemschutzmasken auf die Länder verteilt. Eine erste kleine Lieferung ist bereits bei uns angekommen. Unklar ist, ob es eine regelmäßige Nachlieferung geben wird oder es bei einer einmaligen Versorgung bleibt.
Wir haben deshalb ein Verfahren zur Wiederverwendung von FFP-2-Masken etabliert. Dadurch können wir die direkte ärztliche Versorgung von Patienten mit Verdacht auf Covid-19 noch für eine gewisse Zeit gewährleisten.
Ich hoffe sehr, dass es in dieser Zeit gelingt, ausreichend Nachschub zu organisieren.

PN: Derzeit wird viel über eine Lockerung der Maßnahmen zur Ausgangsbeschränkung gesprochen. Wie beurteilen Sie diese Diskussion?

Jenke: Ich kann nicht einschätzen, wie gut die stationären Einrichtungen inzwischen auf einen erneuten starken Anstieg der Neuinfektionen eingestellt sind.
Den ambulanten Bereich sehe ich aber keinesfalls ausreichend vorbereitet. Pflegeeinrichtungen befinden sich in einer ähnlichen Situation. Auch hier mangelt es an der notwendigen Schutzausrüstung.
Solange nicht alle Bereiche der gesundheitlichen Versorgung gleichermaßen gut gewappnet sind, sehe ich keine Option für eine Lockerung der aktuellen Maßnahmen.