Folgen eines Zeckenstichs sicher erkennen und behandeln

Die Zeckensaison 2018 startet mit neuen Empfehlungen für die Diagnose und Therapie der durch Zecken übertragenen Erkrankung Neuroborreliose. Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) hat Anfang April nach mehr als dreijähriger Arbeit die erste S3-Leitlinie Neuroborreliose veröffentlicht.

Hinter vermeintlichen Spätfolgen steckt häufig keine Borreliose

S3-Leitlinien sind Leitfäden für Ärzte und Patienten, die nach strengen Regeln erarbeitet werden. Sie geben den aktuellen Stand der wissenschaftlichen Medizin wieder. Dabei bezieht die aktuelle Leitlinie auch klar Stellung zu vermeintlichen Spätfolgen einer Borrelieninfektion. Diese sollen angeblich noch Jahre nach dem Zeckenstich auftreten können. „Krankheitsbilder mit anhaltenden unspezifischen bzw. untypischen Symptomen sind häufig keine Borreliosen“, so Professor Sebastian Rauer vom Universitätsklinikum Freiburg, der die Leitlinienarbeit gemeinsam mit PD Dr. Stephan Kastenbauer aus München koordiniert hat.

Das Papier erläutert ausführlich, mit welchen Untersuchungen die Diagnose „Neuroborreliose“ gesichert werden kann. Zudem bietet sie einen Überblick über wirksame Behandlungen. Darüberhinaus richtet sich die Leitlinie auch an Patienten. So enthält sie ein Informationsblatt zur Nachbeobachtung eines Zeckenstichs und gibt Empfehlungen zur Vorbeugung einer Borrelieninfektion. Die S3-Leitlinie ist eine Weiterentwicklung der bisher gültigen S1-Leitlinie. S3 steht in diesem Fall für die höchste Qualitätsstufe. Dabei basieren die Empfehlungen auf einer systematischen Auswertung der wissenschaftlichen Literatur.

Laboruntersuchungen nur bei ausreichendem Verdacht sinnvoll

Die Lyme-Borreliose ist die am häufigsten durch Zecken übertragene Krankheit in Europa. In Deutschland erkranken jährlich bis zu 200.000 Menschen an der Infektion. Dabei kann eine frühzeitige Entfernung der Zecke, noch bevor sie sich mit Blut vollgesaugt hat, die Übertragung des Erregers verhindern. Borrelien sind spiralförmige Bakterien und befallen vorwiegend die Haut. Typisches Erkennungszeichen ist die sogenannte Wanderröte: Um den Zeckenstich bildet sich ein roter Rand, der sich langsam nach außen ausweitet. Oft kommen Muskel- und Gelenkschmerzen sowie grippeähnliche Beschwerden hinzu.

Im übrigen Körper können die Borrelien Gelenke, das Nervensystem und selten das Herz befallen. In 3 bis 15 Prozent der Fälle ist das Nervensystem betroffen. Dann spricht man von einer Neuroborreliose. Typisch sind nächtlich betonte, brennende und stechende Schmerzen. Diese sind häufig gürtelförmig verteilt und sprechen schlecht auf Schmerzmittel an. Auch Lähmungen können vorkommen. Hier sind vor allem die Gesichtsnerven betroffen. Aber auch Nerven der Arme und Beine können gelähmt sein. Bei Kindern äußert sich die Neuroborreliose am häufigsten in einer Gesichtsnervenlähmung oder Hirnhautentzündung (Meningitis). „Anhand der typischen Symptome in Verbindung mit entzündlichen Veränderungen im Nervenwasser und dem positiven Antikörpernachweis lässt sich eine Neuroborreliose in der Regel zweifelsfrei feststellen“, erklärt Professor Rauer. Von Blut- oder Liquortests auf Borreliose bei unspezifischen Beschwerden rät der DGN-Erxperte ab. „Laboruntersuchungen sind nur bei ausreichendem klinischem Verdacht sinnvoll.“

Schlechte Langzeitverläufe basieren überwiegend auf Fehldiagnosen

Immer wieder stößt man auf Berichte über vermeintliche chronische Neuroborreliosen. Auch hier liefert die S3-Leitlinie eindeutige wissenschaftliche Fakten. Nicht haltbar ist die Theorie, wonach Erschöpfung, Konzentrationsstörungen, chronische Müdigkeit, wandernde Schmerzen, Gedächtnisstörungen, Kopfschmerzen und andere schwer greifbare Beschwerden trotz unauffälliger Liquordiagnostik auf eine nicht erkannte oder unzureichend behandelte Infektion des Nervensystems mit Borrelien zurückzuführen sind. „Die Neuroborreliose verläuft überwiegend gutartig“, betont Rauer. „Schlechte Langzeitverläufe, von denen immer wieder berichtet wird, sind zum erheblichen Teil auf Fehldiagnosen zurückzuführen. Das Nichtansprechen auf die Therapie liegt in diesen Fällen also nicht daran, dass die Borrelien überleben. Der Grund ist vielmehr, dass die Patienten keine Neuroborreliose haben, sondern eine andere Erkrankung, die nicht auf Antibiotika anspricht.“

Auch den sogenannten Lymphozyten-Transformationstest, der bei diffusen Beschwerden wie chronischer Müdigkeit, Muskel- und Gelenkschmerzen, Abgeschlagenheit oder Konzentrationsstörungen eine chronische Borreliose nachweisen soll, halten die wissenschaftlich-medizinischen Fachgesellschaften für nicht aussagekräftig.

Aktuelle Empfehlungen zur Art und Dauer der Antibiotikatherapie

Die Antibiotikabehandlung sollte mit Doxycyclin oder Penizillin G oder Ceftriaxon oder Cefotaxim erfolgen. „Diese Substanzen sind bei gleicher Verträglichkeit gleich gut wirksam gegen Borrelien“, so Rauer. „Über die Wirksamkeit von anderen Substanzen oder Antibiotika-Kombinationsbehandlungen liegen zu wenig auswertbare Studiendaten vor.“ Die Leitlinie betont, dass eine medikamentöse Therapiedauer von 14 Tagen bei früher und von 14 bis 21 Tagen bei später Neuroborreliose im Regelfall ausreichend ist. „Eine längere Behandlung bringt keinen Mehrwert, sondern setzt die Patienten einem unnötigen Risiko von schweren Nebenwirkungen aus. Wenn die Antibiotika nach zwei bis drei Wochen nicht anschlagen, bringen auch weitere Wochen oder gar Monate nichts.“

Mit der Veröffentlichung ist die Leitlinie im Internetauftritt der DGN für jedermann frei zugänglich (dgn.org/leitlinien).

 

Quelle: Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V. (DGN)